Gräfe und Unzer - eine ostpreußische Verlagsgeschichte

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300 Jahre GRÄFE UND UNZER - der VFFOW gratuliert

Löbenicht'sches Rathaus, Buchhandlung rechts, gemeinfrei

Von Heidrun Grützmacher, Jülich - August 2022


Hierzu gratuliert auch der VFFOW sehr herzlich und nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, einen Blick auf die außergewöhnliche, ostpreußische Firmengeschichte zu werfen, die sich in unserem Forschungsgebiet entwickelte!

Der Grundstein dazu wurde mit Unterzeichnung eines Dokuments gelegt, mit dem Friedrich Wilhelm I. den Christoph Gottfried Eckardt zur Führung eines Buchladens in Königsberg i. Pr. privilegierte. Dies geschah am 20. Juli 1722. Es war dies nun nicht der einzige Buchhändler in Königsberg i. Pr., sondern zu diesem Zeitpunkt immerhin schon der vierte, aber sowohl Universität als auch Behörden unterstützten die Umsetzung dieser Erlaubnis.

Im Gegensatz zu seiner Konkurrenz wusste es Eckardt einzurichten, dass er in seinem Buchladen an der Schmiedebrücke auf dem Kneiphof nicht nur eine große Auswahl der damals vorhandenen Bücher anbieten konnte, sondern sie auch vorrätig hatte, zudem noch günstiger anbot als in den anderen Handlungen. Zusätzlich verlegte er selbst verschiedene Werke wissenschaftlichen Inhalts sowie Schulbücher in größerem Umfang. Dass die Königsberger Albertus-Universität sich zu dieser Zeit auf dem Kneiphof in der Nachbarschaft befand, begünstigte die Entwicklung der Verkaufs- und Verlagsarbeiten.

Hartungs Katalog von 1746: gemeinfrei

1746 übernahm der Verleger und Buchdrucker Johann Heinrich Hartung das Geschäft von Eckardt, mit dem er bereits seit 1738 zusammengearbeitet hatte. Der erste Verlagskatalog von 1746 zeigte sich mit gewaltigen 400 Seiten. 1751 erwarb Hartung die Hof- und Akademische Buchdruckerei, ein Jahr später wurde mit der Albertus-Universität die Herstellung ihrer Drucksachen vereinbart. Durch den frühen Tod Hartungs 1756 wie auch durch die unruhigen Verhältnisse während des Siebenjährigen Krieges geriet das Geschäft ins Straucheln.

Hinzu kam, dass sich ein weiterer junger Buchhändler –
Johann Jakob Kanter – zu den Konkurrenten hinzugesellt hatte. Dieser zog 1765 in das an Stelle des gotischen Löbenicht‘schen Rathauses errichtete Wohn- und Geschäftshaus und führte dort seine Buchhandelsgeschäfte fort, denen auch die erste Königsbergische Leihbücherei angegliedert war.

Haus der Bücher, Innenansicht: gemeinfrei

Adressbuch deutscher Buchhandlungen 1881

Heinrich Eduard Gräfe; gemeinfrei

1787 übernahm Gottlieb Leberecht Hartung die Kanter’sche Buchhandlung mit Inventar. Er starb bereits 10 Jahre später. Die Führung der Buchhandlung übernahmen Johann Phillip Göbbels aus Mainz und August Wilhelm Unzer aus Chemnitz. Man sprach von „Unzers’s Buchhandlung“, da Göbbels bereits früh wieder aus dem Unternehmen ausgeschieden war.

Unzers Tochter Minna heiratet den ehemaligen Angestellten Heinrich Eduard Gräfe aus Hamburg, der zusammen mit seinem Schwager Johann Otto Unzer 1832 die Geschäfte der Buchhandlung in Königsberg übernahm. Der noch heute geführte Name „Gräfe und Unzer“ stammt also aus dem Jahr 1832.

Mit Gründung der neuen Universität am Paradeplatz im Jahr 1862 beschlossen auch Gräfe und Unzer erst in die Junkerstraße 17 umzuziehen und dann 1873 das Geschäft an den Paradeplatz Nr. 7 zu verlegen.

Knapp 20 Jahre später, 1896, trat Otto Paetsch als Lehrling in das Buchhandelsgeschäft ein. Er hatte eigentlich einen ganz anderen Lebensweg einschlagen wollen, begann nun aber nur kurz nach Beendigung der Ausbildung zusammen mit seinem Lehrherrn Hugo Pollakowsky neue Strukturen für das Geschäft zu entwickeln, die noch völlig unbekannt in dieser Branche waren. Er fasste verschiedene Abteilungen zusammen, baute sie aus und gliederte sie neu. Das benachbarte Eckgrundstück wurde dazugekauft, und so konnte Paetsch 1915 mit dem Neubau am Paradeplatz 6 & 7 beginnen. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges nimmt Paetsch den Umbau des neuen Gebäudes in Angriff, das Stück für Stück bis 1922 fertiggestellt wird, rechtzeitig zur Feier des 200-jährigen Bestehens.

Otto Paetsch; gemeinfrei

Trotz Schwierigkeiten in den Jahren 1920-39 belebte Paetsch in dieser Zeit die Verlegertätigkeiten mit großem Erfolg. Bildbände wie „Das malerische Ostpreußen“ überbrückten die plötzlich vorhandenen Grenzen (des Korridors) und erfreuten sich großer Beliebtheit.

Als geschickter Geschäftsführer spendierte Paetsch anlässlich der 200-Jahrfeier 1922 jährlich für jeweils 2 bewährte Mitarbeiter eine Reise in die Berge, in Form eines von ihm gestifteten Reisestipendiums. Auch ein Erholungsheim in Rauschen (heute Svetlogorsk) stellte er den Angestellten zur Nutzung zur Verfügung. Es lag in der Forststraße / Ecke Hermannstraße dicht am Wald mit einem großen Grundstück.

1927 wurde die Buchhandlung im Erdgeschoss noch einmal erweitert und präsentierte sich inzwischen in einer noch ganz unbekannten Art: an Stelle auf dem vormals üblichen Ladentisch konnte der interessierte Leser die in Regalen oder auf Tischen ausgebreiteten Bücher nun an bereitstehenden Lesetischen mit gemütlichen Sitzgelegenheiten ansehen. Dazu waren die verschiedenen Abteilungen, deren Zahl ständig wuchs, frei zugänglich.

Haus der Bücher 1944; Gräfe und Unzer

Dieser Wandel ließ das „Haus der Bücher“ zur modernsten Buchhandlung Deutschlands werden. Und schon 1929 ist Gräfe und Unzer die größte Sortimentsbuchhandlung in Europa, die sich über 6 Etagen auf etwa 2000 qm erstreckt. Man stelle sich vor: mehr als 200.000 Titel sind vorrätig, das entspricht nach Berechnungen aus den 30er Jahren einer Länge von 4.675 Metern! Dies erlebte Paetsch nicht mehr mit, er verstarb 1927 auf einer Reise in Tirol. Seine Nachfolge hatte der umsichtige Geschäftsmann bereits zu Lebzeiten geregelt: sein Schwiegersohn Bernhard Koch führte Verlag und Buchhandlung in seinem Sinne weiter.

In den folgenden Jahren nach der Machtergreifung versuchte Bernhard Koch mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln sowohl das „Haus der Bücher“, als auch Literatur wie auch die ihm anvertrauten Mitarbeiter zu schützen und zu stützen. Die Bücherverbrennungen erreichten am 10. Mai 1933 auch Königsberg, waren aber nur eine Zwischenstation zum Untergang Königsbergs. Unter den Bombenangriffen im August 1944 brannte dies Gebäude wie so viele andere aus. Auch vom „Haus der Bücher“ blieb lediglich ein Gerippe mit leeren Fensterhöhlen, ohne Dach und ohne Inhalt.

Damit endet der ostpreußische Teil der Verlagsgeschichte. Zum Glück fand sie eine Fortsetzung in Süddeutschland.

Weitergehende Verlagsinformationen finden Sie unter:
https://graefe-und-unzer.de

oder auch
https://buchmarkt.de/meldungen/graefe-und-unzer-jubilaeum-die-ratgeber-maschine-wird-300/


Wer sich dem Thema in gut recherchierter Romanform nähern möchte, dem sei Michael
Pauls „Haus der Bücher“ ans Herz gelegt:
https://www.michael-paul.eu/bücher/das-haus-der-bücher/


Quellen:
https://graefe-und-unzer.de
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Heinrich_Hartung
https://www.deutsche-biographie.de/sfz39753.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%A4fe_und_Unzer
https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Paetsch
Pekrul, Jörn: Von Büchern, von Brüchen und von Brücken, in: PREUSSEN-KURIER Ausgabe 2/2022

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